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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kurz vor der Abstimmung über eine zweite Amtszeit am Donnerstag eine juristische Schlappe erlitten. Das Gericht der Europäischen Union gab am Mittwoch den Klagen von EU-Abgeordneten und Bürgern teilweise statt, die von der Leyens EU-Kommission Intransparenz bei Corona-Impfstoffverträgen vorwerfen. CDU und CSU im EU-Parlament warnten zugleich vor "Chaos", sollte die 65-Jährige bei der Wahl durchfallen.
Das Europagericht urteilte, die EU-Kommission habe der Öffentlichkeit bei den 2020 und 2021 mit Pharmaunternehmen geschlossenen Impfstoffverträgen zu Unrecht wichtige Informationen vorenthalten - etwa zu möglichen Schadenersatzansprüchen bei Impfstoffmängeln. (Az. T-689/21 u.a.)
Von der Leyen hatte die Verträge während der Pandemie federführend mit ausgehandelt. Im Auftrag der Mitgliedsländer bestellte ihre Kommission für 2,7 Milliarden Euro eine Milliarde Impfstoffdosen bei Konzernen wie Pfizer/Biontech und Moderna. Bereits 2021 beantragten die Klägerinnen und Kläger Einsicht in die Verträge und damit zusammenhängende Dokumente. Die Kommission stellte aber nur eine passagenweise geschwärzte Fassung zur Verfügung. Diese Entscheidung sei teils nichtig und fehlerhaft, urteilte das Gericht.
Zu den Klägerinnen zählte die deutsche EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne). Sie sprach von einem "Sieg" und erklärte, das Urteil stärke "Transparenz und Kontrolle, auch für die Zukunft". Die Kommission kündigte an, das Urteil und seine Auswirkungen sorgfältig zu prüfen. Sie könnte theoretisch vor den Europäischen Gerichtshof als nächsthöhere Instanz ziehen.
Vor allem linke Europapolitiker forderten Konsequenzen für von der Leyen: Der Europaabgeordnete Fabio De Masi vom Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) verlangte, die CDU-Frau solle auf ihre Kandidatur für eine zweite Amtszeit verzichten. Linken-Co-Fraktionschef Martin Schirdewan nannte den Richterspruch einen "Beweis" dafür, dass von der Leyen "keinen Wertekompass für Transparenz oder moralische Integrität besitzt". Ein Votum für die CDU-Frau bei der Straßburger Plenarabstimmung am Donnerstag bedeute "weitere fünf Jahre voller Hinterzimmerdeals", warnte er.
Die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament appellierte dagegen an die Abgeordneten, von der Leyen zu unterstützen. Bei der Abstimmung gehe es "um Stabilität oder Chaos, um die Wahl zwischen einer weltweit respektierten, bewährten Führungspersönlichkeit oder enormer Unsicherheit in geopolitisch herausfordernden Zeiten", erklärten die Gruppenvorsitzenden Daniel Caspary (CDU) und Angelika Niebler (CSU).
Sollte von der Leyen im Plenum nicht die absolute Mehrheit von 361 der 720 Abgeordnetenstimmen erhalten, droht der EU nach Ansicht zahlreicher Politiker eine institutionelle Krise. Denn einen Plan B gibt es nicht, von der Leyen ist die einzige Kandidatin.
Europas Staats- und Regierungschefs hatten die 65-Jährige Ende Juni mit großer Mehrheit für eine zweite Amtszeit nominiert. Damit folgten sie dem Ergebnis der Europawahlen, bei denen von der Leyens Europäische Volkspartei (EVP) stärkste Kraft wurde.
Wegen erwarteter Abweichler auch bei den Konservativen hatte von der Leyen in den vergangenen Wochen mit anderen Fraktionen verhandelt, um ihre Wiederwahl zu sichern. Nach Angaben aus dem Parlament kann sie mit Stimmen von Grünen und aus Teilen des Rechtsaußen-Lagers rechnen. Das ist heikel, denn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere hatten zur Bedingung gemacht, dass die frühere Bundesministerin nicht mit Parteien rechts von der CDU/CSU paktiert.
Bei ihrer ersten Wahl 2019 hatte von der Leyen nur neun Stimmen mehr erhalten als nötig. Im Gegenzug für ihre Unterstützung erwarten die anderen Parteien nun umfangreiche Zugeständnisse im Arbeitsprogramm der nächsten Kommission, das von der Leyen den Abgeordneten kurz vor ihrer Wahl vorstellt. Die Grünen fordern etwa Zusagen beim Klimaschutz, die FDP will eine Absage an neue europäische Gemeinschaftsschulden.
A.Krishnakumar--DT