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In Georgien halten die Massenproteste gegen den Aufschub der EU-Beitrittsbemühungen durch die Russland-freundliche Regierung an. Wie das Innenministerium in Tiflis am Samstag mitteilte, wurde am Freitag bei erneuten Kundgebungen mehr als hundert Teilnehmer festgenommen. Die Behörden warfen den Demonstrierenden vor, Sicherheitskräfte mit diversen Gegenständen beworfen zu haben, und gingen gewaltsam gegen die Menge vor. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rief die Regierung in Tiflis auf, "die Stimme ihres Landes zu hören".
Für Samstagabend kursierten in Online-Netzwerken bereits Aufrufe zu erneuten Protesten. "Die Menschen in Georgien tragen zu zehntausenden Europas Herz auf die Straßen von Tiflis und halten den Wasserwerfern die EU-Flagge entgegen", erklärte Baerbock im Onlinedienst X. Georgiens Status als EU-Beitrittskandidat sei "eine historische Chance", mahnte die Bundesaußenministerin. "Es ist an der Regierung, die Stimme ihres Landes zu hören."
Die massiven Proteste in dem Kaukasus-Staat hatten am Donnerstagabend begonnen. Sie richten sich insbesondere gegen den von Regierungschef Irakli Kobachidse angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen des Landes bis 2028. Dagegen gingen am Donnerstag- und Freitagabend tausende Menschen auf die Straße. Zudem veröffentlichten hunderte Staatsbedienstete, insbesondere aus dem Außen- und Verteidigungsministerium, sowie Richter gemeinsame Protestnoten. Aus Protest blieben außerdem mehr als hundert Schulen und Universitäten geschlossen.
Bei den Protesten in der Nacht zu Samstag seien 107 Menschen wegen "Ungehorsams gegenüber rechtmäßigen Polizeianordnungen und geringfügigen Rowdytums" festgenommen worden, erklärte das georgische Innenministerium. Zehn Polizisten hätten Verletzungen erlitten.
Wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP am Freitag sahen, schlug die Polizei in Tiflis auf friedliche Demonstrierende vor dem Parlament ein. Zudem setzte sie erneut Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer ein. AFP-Reporter sahen, wie Demonstranten mit Eiern und Feuerwerkskörpern warfen.
Nach Angaben des Senders Pirveli wurde eine seiner Mitarbeiterinnen nach Schlägen der Polizei schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Auch in anderen Städten Georgiens fanden am Freitag Proteste statt, wie georgische Medien berichteten. Demnach gab es außer in der Hauptstadt Tiflis auch in der zweitgrößten Stadt Batumi Festnahmen.
Regierungschef Kobachidse dankte am Samstag in einer Pressekonferenz dem Innenministerium und allen Polizisten, die "die verfassungsmäßige Ordnung Georgiens verteidigt und die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes erhalten" hätten.
Georgische Ermittlungsbehörden leiteten allerdings eine Untersuchung wegen Amtsmissbrauchs in Form von Gewalt gegen Demonstranten und Medienvertreter ein. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigte eine "unverhältnismäßige und wahllose Gewaltanwendung der Polizei", die eine "schwere Verletzung der Versammlungsfreiheit" darstelle.
Die amtierende Präsidentin Salome Surabischwili, eine erklärte Gegnerin von Regierungschef Kobachidse, erklärte in einer Fernsehansprache ihre "Solidarität" mit der "Widerstandsbewegung". "Wir werden zusammenhalten, bis Georgien seine Ziele erreicht hat: Rückkehr auf den europäischen Weg und Neuwahlen", sagte Surabischwili.
Bereits in der Nacht zuvor waren bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in Tiflis Regierungsangaben zufolge dutzende Menschen festgenommen worden. Nach Angaben des Innenministeriums vom Samstag wurden am Donnerstag 32 Polizeibeamte verletzt und 43 Demonstranten festgenommen. Wenige Stunden zuvor war Kobachidse vom Parlament erneut im Amt bestätigt worden.
Die pro-europäische Präsidentin Surabischwili hatte das neue Parlament wegen Wahlbetrugsvorwürfen als verfassungswidrig eingestuft und das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat.
Der Regierungschef wirft der Opposition und dem EU-Botschafter in Georgien hingegen vor, den Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen falsch darzustellen. Ein EU-Beitritt seines Landes bis 2030 bleibe für ihn weiterhin "oberste Priorität", versicherte Kobachidse.
Das Ziel des EU-Beitritts ist in der georgischen Verfassung verankert und wird Umfragen zufolge von 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Georgien ist seit Dezember 2023 offiziell EU-Beitrittskandidat. Seitdem hat die Moskau-freundliche Regierung aber mehrere Gesetze verabschiedet, die in Brüssel große Sorge hervorrufen, darunter ein Gesetz nach russischem Vorbild gegen "ausländische Einflussnahme".
Die EU fror deshalb Ende Juni den Beitrittsprozess mit Georgien ein. Das Europaparlament verabschiedete am Donnerstag eine Resolution, in der das Wahlergebnis in Georgien wegen "erheblicher Unregelmäßigkeiten" abgelehnt und eine Neuwahl gefordert wird.
I.Mansoor--DT